Das «rot-grüne» Zürich brüstet sich gerne mit einer liberalen Haltung und einer Vorreiterrolle im Umgang mit Freiraum. Aber wir fragen: Züri, was lauft?!
Die Räumung des EWZ-Kesselhauses am 8. November wurde mit vorgeschobenen Gründen legitimiert. Dies zeigt die Antwort des Stadtrates auf die Anfragen von Grünen und AL zur angeblichen «Baufälligkeit» und «Einsturzgefahr» des Gebäudes. Spätestens seit der plötzlich offenbar wichtigen Neunutzung der Halle als Lager für die EWZ ist klar, dass diese «Einsturzgefahr» vorgeschoben wurde. Vorgeschoben, um das Gebäude räumen zu lassen. Die angebliche «Sicherheitsrelevanz» war von Anfang an eine dreiste Lüge. Was in Zeiten von Krieg und Energiekrise nach einer ernsten Sache klingt, wurde herbeifantasiert: Das EWZ liess die Halle sowie die direkt angrenzende Nebenhalle jahrelang leerstehen und hatte dafür schlicht keinen Bedarf. Dass jetzt in aller Eile irgendwelche Paletten als Alibi hingekarrt wurden zeigt, auf welch unwürdige Weise sich die EWZ als städtischer Grossbetrieb von der Politik instrumentalisieren lässt.
Eigentlich geht es doch um etwas anderes:
Die politische Führung von Zürich, sprich die amtierenden Stadträt*innen und die Beamt*innen in den Chefetagen, finden, dass es in Zürich keine Besetzungen mehr brauche und dieser Seich jetzt mal endlich aufhören soll.
Bereits im Sommer, als an der Birmensdorferstrasse in der Nähe vom Triemli am Waldrand ein Stück Land besetzt wurde, fuhren die Behörden als erstes mit der Brechstange und der Polizei ein. Die Vertreter*innen der Stadt verkündeten, dass nun «ein neues Zeitalter angebrochen sei» im Umgang mit Besetzungen. Auch hier schoben sie erfundene Gründe vor, weshalb das Gelände nicht genutzt werden dürfe. Erst nachdem der absurde Vorwand der «Gewässerverschmutzung» entkräftet werden konnte und der Pächter zur grossen Verägerung der Behörden partout keine Strafanzeige unterschreiben wollte, zogen die Bullen wieder ab. Auf das Kommunikationsangebot der Besetzer*innen wurde lange nicht eingegangen, erst nach einem Monat kam es zu einem Gespräch, bei dem keine Polizei präsent war.
Es sind mit Karin Rykart (Polizeidepartement) und Daniel Leupi (Finanzdepartement) zwei Stadträt*innen, welche diese Nulltoleranzpolitik vorantreiben. Sie sind in der selben Grünen Partei, in der offenbar einige Gemeindrät*innen diese Politik nicht unterstützen. Leupi sprach sich in der WOZ für einen «Fortsetzung» des besetzten Kochareals in staatlich organisierten Zwischennutzungen aus und tut alles, damit Besetzungen unterbunden werden. Die gewaltvolle Räumung der Juch-Besetzung Mitte Dezember 2022 geht ebenfalls auf sein Konto, sein Departement hat den Strafbefehl zur Räumung unterschrieben.
Wenn Stadtrat Michael Baumer (FDP) jetzt im Tages-Anzeiger verkündet, dass es kein «Recht auf Besetzung» gebe, kann das im Umkehrschluss so verstanden werden, dass Besetzungen stärker kriminalisiert und repressiv unterbunden werden sollen. Eine Forderung, der von seinen linken Stadtratskolleg*innen offenbar breitwillig nachgekommen wird. Die Stadtpolizei scheint eine neue Linie zu fahren im Umgang mit Besetzungen, für die es laut ihrem eigenen Merkblatt keinen Räumungsgrund gibt: Die Räumung wird kurzerhand als «Kontrolle» deklariert, in der die Menschen aber gleichzeitig weggewiesen werden und wegen Hausfriedensbruch verzeigt werden.
Stadtpräsidentin Corinne Mauch sagte im Tages-Anzeiger, dass «selbstverständliche Errungenschaften hart erkämpft werden mussten» und dass «Zürich der 1980er-Bewegung viel verdanke». Das ist ein Geschichts- und Gesellschaftsbild, welches sich auf Nostalgie und das Klopfen der eigenen Schultern beschränkt. Offenbar werden die damaligen Proteste als notwendig und legitim erachtet, heute aber steht die Förderung der Wohnpolitik im Parteiprogramm der SP sowie der Grünen Partei und deshalb ist ja alles gut.
Nicht beachtet wird, dass von den Erungenschaften der 80er Bewegung grösstenteils nur ein kleiner privilegierter Teil der Stadtbewohner:innen profitiert hat. Der Teil der Gesellschaft, welcher sozial integriert und gut vernetzt ist und die Ressourcen hätte, Widerstand zu leisten, wurde ruhiggestellt. So gibt es heute ein reichhaltiges Angebot an subventionierten Ateliers, Studierendenwohnungen und genau genug Stadtwohnungen, dass der Druck nicht zu gross wird. Günstigen, erschwinglichen Wohnraum für alle gibt es jedoch nach wie vor nicht.
Es können halt nicht alle im Zentrum wohnen, heisst es. Was damit gemeint ist: Der Markt solls richten. Absurd, zumal die riesigen Summen, die in den Immobiliensektor fliessen, offensichtlich gegen die Interessen der Bewohner*innen arbeiten. Wer will schon den neusten Ausbaustandard, wenn dafür die Miete unbezahlbar wird? Die finanziell und sozial Schwächsten werden zurückgelassen, zunächst nach Altstetten und Schwamendingen verdrängt, jetzt weiter nach Rümlang und Spreitenbach. Wehren können sich nur wenige, denn gegen eine Hausverwaltung gerichtlich vorzugehen, welche potentiell wieder die nächste Vermieter:in sein könnte, getrauen sich viele nicht.
Dass ein würdiges Wohnen in der Stadt für alle und Raum für kommerzfreie Kultur auch heute gegen die Interessen des Grosskapitals erkämpft werden müssen, ist der harmoniesüchtigen politischen linken Elite von Zürich wohl nicht bewusst. Oder es wird schlicht ignoriert.
Wilkommen im Rot-Grünen Zureich.